Doktor Tensfelder, bitte!

Eben rief mich der Braungart an. Der ist auf Forschungsreise und schwäbelt von unterwegs noch mehr als in seinem Büro: "Schreibese Fonse! Schreibese weida an ihra Erbat. Des isch Zukunftsmusi, aber eine die ich höre will."

Der Professor Braungart ist ein recht jung emporgekommener Akademiker und wer sich bei ihm schon mal in Barocklyrik hat prüfen lassen, weiss auch nicht warum das so ist. Egal, im Grunde genommen will der Braungart, dass ich mein jüngstes Thesenpapier in eine Doktorarbeit umwandle. Weil er an mich glaubt. Als Lehrstuhlangehöriger und weitgereister Dozierender ist mir die fehlende Promovierung natürlich ein ganz unangenehmer Dorn im Arsch. Ich geh ja mittlerweile streng auf das halbe Jahrhundert zu, da wird's auch langsam Zeit die berufliche Stagnation zu terminieren.

Versteht's mich jetzt bitte net falsch. Ich war kein akademisches Faultier, aber ich habe gelebt. Gelebt habe ich. In meiner Zeit in Barcelona, Lissabon, Berlin und Reit im Winkel habe ich mir das Leben in angenehmen Häppchen servieren lassen und habe es nicht bereut. Die Valentina aus dem Cafe Da Giorgio, die Helga ausm Almstüberl, die Maria aus der CD Abteilung im Fnac am Placa Catalunya und nicht zu vergessen, die fesche Gisela aus einem Vorort von Weiden i.d. Oberpfalz. Das hat mich abgehalten vom Doktorieren. Vom Laborieren. Mit Fug und Recht abgehalten.

Doch jetzt will ich demnächst gefälligst mit Dr. phil Tensfelder angesprochen werden, deshalb nehme ich meine Arbeit in Angriff. Promovieren will ich beim Greule, der ist kommod, auch wenn ihn nur eine kleine Vokal/Konsonanten Rochade von einem depperten Nachnamen trennt. Ach ja, vielleicht wollt's ihr wissen über was ich schreibe. Hier ist der Arbeitstitel:

"Der korrelierende Niedergang des regionalen Idiolekts mit der kulturellen Zentralisierung einer sprachlichen Normierung rund um deutsche Ballungsräume, mit Rücksicht auf Jugendkultur und Lehnwortproblematik. Ein sprachwissenschaftlicher Paradigmenwechsel. Von Alfons Tensfelder Jr."

Wer's nicht auf Anhieb kapiert, dem bin ich nicht abspenstig gesonnen. Ich selbst hab eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was ich eigentlich von mir will. Im Grunde genommen geht es nicht um das viel belamentierte Aussterben des Dialekts, sondern um die indviduelle Ausdrucksweise, die sich im speziellen Vokabular des soziologisch Affektierten reflektiert. Ein praktisches Beispiel:

Ich sehe einen Typen am Straßenrand der Diagonal (des is a ziemlich breite Straßn) in Barcelona stehen und werde Zeuge wie ein katalanischer Kleintransporter ihm den Fuß wegfährt. Wenn ich meinem Erstaunen über diese Tatsache Ausdruck verleihen wollte, hätte ich früher gesagt: "Zefix, des is ja da Wahnsinn." Heutzutage bin ich durch meine Studenten so auf Zeitgeistkurs gedrängt worden, dass ich vermutlich sagen würde: "Scheiße Alter, is des krass." Da seht ihr was ich meine.

Aber genug Fachjargon. Jetzt ruf ich nochmal den Braungart an und lass mir den Titel meiner Dissertation auf Schwäbisch runterleiern. Ich könnt jedes Mal so lachen.
wuestenfloh - 1. Nov, 10:25

In den Kieler Nachrichten von heute ist eine wohlwollende Konzertkritik über ein Konzert des Harfenisten Thomas Loefke. Der Kritiker sagt "Lebendige Folklore ... geht weit hinaus über... linksökologischen Späthippie-Eskapismus". Wie muss ich mir einen späten linksökologischen eskapistischen Hippie vorstellen. Könnse mir in Ihrer Eigenschaft als akademischer Sprachvirtuose gebührenfrei Auskunft geben?

saoirse - 1. Nov, 11:44

na alter, dit is so eena der voll krass konkret von vorjestan ist, so'n jrünwähler mit birkenstöckern und pali-tuch; der aber eigentlich denkt, er sei von morgen, weil er ja gerade noch die kurve gekriegt hat und in interkultureller pädagogik promoviert, um sich den dr.phil. auf den Hartz-IV-ausweis schreiben zu können...
Fons Tensfelder - 1. Nov, 12:35

Herr Wuestenfroh, ganz genau kann ich ihnen das erkären: Ein linksökologischer Säthippie Eskapist ist zum Beispiel dieser Herr:

http://www.dw-world.de/dwelle/allgemein/bilder_show/0,3772,18073_7,00.jpg

Und sie, Frau Saoirse, ersparen mir bitte ihren Spott gegenüber Spätpromovierern. Ich kam halt nicht dazu.
saoirse - 1. Nov, 15:49

spott?

nicht die spur...
ich muss nur demnächst selber samt meinem namenszusatz (den ich mir nie auf den perso geschrieben hab, weil kostet ja geld) schnorren oder stempeln gehen, aber ich rate trotzdem niemandem davon ab, aber nein, ich bereue nichts!
wuestenfloh - 1. Nov, 12:39

Oha, schon denke ich an einen Bekannten, der immer noch heftig berlinert, mit seinem Teeladen baden gegangen ist und sich jetzt darauf beschränkt, den Leuten seine Weisheiten aufzudrängen. Unterhalten wird er von seiner Ehefrau, die nach der Arbeit kocht und putzt.

neo-bazi - 1. Nov, 12:57

Und wenn's doch nicht klappen sollte beim Greuel - es kann sich ja immer wieder eine dazwischen schieben - dann melden Sie sich bitte bei uns. Wir fälschen alles.
Ich selbst hab den Dr. plag. damals auf der Volkshochschule ja aus ähnlichen Gründen in den Sand gesetzt, aber mittlerweile sind wir ein unschlagbares Team geworden. Da können Sie die Hitlertagebücher getrost als Scheißhauspapier verwenden. In Plastik eingeschweißte Eintrittskarten für dänische Open Airs, mittelalterliche Gesangsbücher, Studentenausweise, Polizei-Dienstmarken undundund.

Jemanden, der sich auf der Blickner Alm über Ruhpolding und auf den Ramblas von Barcelona gleichermaßen zu Hause fühlt, nehmen wir natürlich jederzeit auch als Dr. h.c. in den verschworen Kreis unserer freigemauerten schlägernden Verbindung auf, sollten Sie diesbezüglich von überflüssigen Skrupeln befallen sein.

Untertänigst der Irre Ihre.

Fons Tensfelder - 1. Nov, 13:54

Spar dir den Kniefall für unseren nächsten gemeinsamen Yogakurs, Edi. Ich hab heute eh einen höfischen Knicks in der Optik und hab was von irischen Untertanen gelesen.

Ich würd irrsinnig gerne eurem plünderenden Pack beitreten. Und weil wir grade dabei sind, bräuchte ich zwei gefälschte Tickets für folgende Veranstaltung, auf die ich mit der Hilde gehen wollte:

http://tickets.royalalberthall.com/season/production.aspx?id=4719&src=t&monthyear=
neo-bazi - 1. Nov, 17:23

Du lügst schlechter als gedruckt, Fonse. Aber leider kann ich damit nicht dienen, selbst wenn ich wollte. Wir haben einen Großauftrag von einem gewissen Herrn MC aus Kiel erhalten für eine Veranstaltung in Hamburg an genau diesem Datum. Es handelt sich um ein mindestens gleichwertiges Konzert noch nicht ganz so betagter Herren hier im Grünen Jäger.

Ich werde jedoch ein entsprechendes Meisterwerk der von dir gewünschten Grufti-Truppe als Entschädigung veröffentlichen und gebührend würdigen.

Auf die Royal Albert Hall soll außerdem nach Informationen des Bazi-ND an just diesem Tag ein terroristischer Stinkbomben - Anschlag verübt werden. Also was?
poodle - 1. Nov, 18:57

Die Schwäbischkenntnisse Ihres Herrn Braungard lassen stark zu wünschen übrig. Vielleicht liegts auch an Ihrer mangelhaften Transskription. Mit dem Disstertationstitel kann ich Ihnen aber weiterhelfen: »Koiner schwätzt me schwäbisch. S'isch halt alles nimme so wia friher.« Das sollte fürs erste genügen.

Fons Tensfelder - 1. Nov, 21:10

Ach Herr Poodle, des is aber ein Gusto, dass Sie hier vorbeischneien. Meine Transe war sicher löchrig bis unzulänglich, aber der Braungart is ja auch ein vom akademischen Dienst völlig verwässerter Schwabe. Ihr Beitrag hat mir jetzt aber den Tag schon ziemlich versüßspeist. Ich als Plattlinger bin ja immer ganz hingerissen von Fremdsprachen. So eine ungeheure Exotik wird einem da vermittelt. Bei meinem nächsten Vortrag in Stuttgart dürfen Sie gasthören und gegebenenfalls übersetzen. Das ham Sie sich redlich verdient.
poodle - 1. Nov, 23:44

So, Sie draget vor? Hoffendlich ned laudr so hochgschdochens Zeig. Sonschd iebersetze ich äben in feinschdes Honoratiorenschwäbisch.
Au-lait - 2. Nov, 09:31

Es gab ja einen Schwabulator, mit dem man alle Texte auf schwäbisch übersetzen lassen konnte. Scheinbar geht's jetzt nicht mehr. Schade.
la gitana - 2. Nov, 11:59

Raus aus de Ballungsräume, raus aus de Lehensverhältnissä.
Es seits olle so sakrisch gescheid, i ned. I find grod die Wörta lustig und wira Spiuizeig ko ma de in dLuft schmeissn.
So ein Thema ist doch auch Spielzeug. Rein in die Ballungsräume, rein in die Lehensverhältnissä - dann hat man was zu sagän. Schreims halt eine Landkarte für die neue Eisenbahn. Eine, die das Be- und Entpacken der Wagons mit Wörtern im Kontext Zeit berücksichtigt und eine, die flexible Streckenführung erlaubt. Mal bis Plattling und mal bis Burghausen. Nix so Schwindsüchtiges halt.
Damit das kein halblebiges Spassettl wird, Herr Tenfelder.

Fons Tensfelder - 2. Nov, 13:20

Eine sakrisch gute Idee, Gitana. Als grafisches Suffix für meine Dissertation entwerfe ich eine sprachliche Eisenbahnkarte. Beispielsweise für den Begriff "Semmel". Der Begriff wandelt sich im Laufe der Reise zu "Weckerl" bis hin zu "Brötchen" und "Schribben". Vielleicht bau ich das ganze auch mit meinem Neffen Nico als Modellbahn nach und fotografier es. Merci Bokuh!
Au-lait - 3. Nov, 11:55

In Ostfriesland bzw. auf plattdeutsch bei uns sind's "broodjes". :)
la gitana - 2. Nov, 20:38

Modelleisenbahn ist klinisch. Geht nicht nur gar nicht, ghört verboten.
Bokuh - gscherd und da denk ich doch, wer hat Sie sozialsiert, Fragezeichen.
Das französiche Lehenswort ist zudem zu windig und auch noch goschert hintendrangepappt. Für ein mercy anstatt dem Merci waren Sie wahrscheinlich zu feig oder zu wenig angliziert.
Ich sag jetzt mal was ich als Zigeunerin will und als Dame möchte: Ein Druckexemplar vom Dr. samt einer Fußnote. Mit mir drin. Das kriegen Sie hin.
Va.

Fons Tensfelder - 3. Nov, 13:39

Das sind ja geradezu virale Forderungen, Frau Gitana. Und virulent obendrein. Ich werde mein bestes tun und sie auch nicht mehr mit meiner Goschhaftigkeit vor den feurig gelockten Zigeunerkopf stoßen. Aber das bleibt eine Ausnahme mit der Fußnote. Handschlag drauf?
rationalstürmer - 2. Nov, 23:52

Weckla. Des sin Weckla.
Mercy is for those who deserve it.

la gitana - 3. Nov, 18:02

Wie kommen Sie nur drauf, dass Zigeuner Versprechen geben? Die schwören. Wenns wichtig ist.
Versprechen in selbigen Sinne sind wie 24 Stunden MVV Tickets.
Und woher wollen Sie wissen, dass ich nicht blond bin, also arg blond?
Und noch was: Es was Neumond letzte Nacht. Das heißt Kopfweh und kollektives zwider sein.
Nehmens heut die Susi und machen was anderes, genau, dann haut das hin.
Bloß Obstbäume darf man heut nicht schneiden. Falls Sie einen Garten ham mein ich.

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