Montag, 31. Oktober 2005

Doktor Tensfelder, bitte!

Eben rief mich der Braungart an. Der ist auf Forschungsreise und schwäbelt von unterwegs noch mehr als in seinem Büro: "Schreibese Fonse! Schreibese weida an ihra Erbat. Des isch Zukunftsmusi, aber eine die ich höre will."

Der Professor Braungart ist ein recht jung emporgekommener Akademiker und wer sich bei ihm schon mal in Barocklyrik hat prüfen lassen, weiss auch nicht warum das so ist. Egal, im Grunde genommen will der Braungart, dass ich mein jüngstes Thesenpapier in eine Doktorarbeit umwandle. Weil er an mich glaubt. Als Lehrstuhlangehöriger und weitgereister Dozierender ist mir die fehlende Promovierung natürlich ein ganz unangenehmer Dorn im Arsch. Ich geh ja mittlerweile streng auf das halbe Jahrhundert zu, da wird's auch langsam Zeit die berufliche Stagnation zu terminieren.

Versteht's mich jetzt bitte net falsch. Ich war kein akademisches Faultier, aber ich habe gelebt. Gelebt habe ich. In meiner Zeit in Barcelona, Lissabon, Berlin und Reit im Winkel habe ich mir das Leben in angenehmen Häppchen servieren lassen und habe es nicht bereut. Die Valentina aus dem Cafe Da Giorgio, die Helga ausm Almstüberl, die Maria aus der CD Abteilung im Fnac am Placa Catalunya und nicht zu vergessen, die fesche Gisela aus einem Vorort von Weiden i.d. Oberpfalz. Das hat mich abgehalten vom Doktorieren. Vom Laborieren. Mit Fug und Recht abgehalten.

Doch jetzt will ich demnächst gefälligst mit Dr. phil Tensfelder angesprochen werden, deshalb nehme ich meine Arbeit in Angriff. Promovieren will ich beim Greule, der ist kommod, auch wenn ihn nur eine kleine Vokal/Konsonanten Rochade von einem depperten Nachnamen trennt. Ach ja, vielleicht wollt's ihr wissen über was ich schreibe. Hier ist der Arbeitstitel:

"Der korrelierende Niedergang des regionalen Idiolekts mit der kulturellen Zentralisierung einer sprachlichen Normierung rund um deutsche Ballungsräume, mit Rücksicht auf Jugendkultur und Lehnwortproblematik. Ein sprachwissenschaftlicher Paradigmenwechsel. Von Alfons Tensfelder Jr."

Wer's nicht auf Anhieb kapiert, dem bin ich nicht abspenstig gesonnen. Ich selbst hab eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was ich eigentlich von mir will. Im Grunde genommen geht es nicht um das viel belamentierte Aussterben des Dialekts, sondern um die indviduelle Ausdrucksweise, die sich im speziellen Vokabular des soziologisch Affektierten reflektiert. Ein praktisches Beispiel:

Ich sehe einen Typen am Straßenrand der Diagonal (des is a ziemlich breite Straßn) in Barcelona stehen und werde Zeuge wie ein katalanischer Kleintransporter ihm den Fuß wegfährt. Wenn ich meinem Erstaunen über diese Tatsache Ausdruck verleihen wollte, hätte ich früher gesagt: "Zefix, des is ja da Wahnsinn." Heutzutage bin ich durch meine Studenten so auf Zeitgeistkurs gedrängt worden, dass ich vermutlich sagen würde: "Scheiße Alter, is des krass." Da seht ihr was ich meine.

Aber genug Fachjargon. Jetzt ruf ich nochmal den Braungart an und lass mir den Titel meiner Dissertation auf Schwäbisch runterleiern. Ich könnt jedes Mal so lachen.

Suche

 

Archiv

Oktober 2005
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
30
 
 
 
 
 
 
 
 

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren